NADIR, 17. Juni 2002
Berlin: Kundgebung vor dem spanischen Konsulat
Solidaritätskundgebung vor dem spanischen Konsulat
Am 20. Juni 2002 findet im spanischen Staat ein landesweiter Generalstreik
statt, um gegen die neuen Arbeitsgesetze, welche u.a. die Abschaffung
der Existenzsicherung für die sozial Schwächsten beinhalten,
anzukämpfen. Wenige Tage später, am 25. Mai, wird die Justiz
der Niederlande das Ergebnis des vom spanischen Staat angestrengten Auslieferungsverfahrens
gegen Juan Ramón Rodriguez Fernández, dem die spanische
Justiz Unterstützung von ETA vorwirft, bekanntgeben. Wir nehmen diese
beiden Termine zum Anlaß, um unseren Protest gegen die Ausweitung
der Repression im spanischen Staat auf die Straße zu tragen, und
uns mit den kämpfenden Menschen aus den linken Bewegungen vor Ort
zu solidarisieren.
Aus Protest gegen die Verabschiedung des neuen Arbeitsgesetzes rufen
alle Gewerkschaften des spanischen Staates zu einem Generalstreik auf.
Der konkrete Anlaß sind die massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen,
sowie die drastische Erschwerung des Zugangs zur Erwerbslosenunterstützung.
Die Gewerkschaften gehen von einer Unterstützung in breiten Teilen
der Gesellschaft aus.
Die im spanischen Staat alleinregierende Partido Popoular hatte das neue
Arbeitsgesetz ohne Konsulation der Gewerkschaften auf den Weg gebracht.
Auf die Warnung der Gewerkschaften, im Falle einer Verabschiedung des
Gesetzentwurfs mit einem Generalstreik zu antworten, reagierte die Regierung
mit einem Affront: Sie legte den Gesetzesentwurf innerhalb von 24 Stunden
dem Parlament zur Verabschiedung vor.
Schon seit 1982 wurden die Rechte der ArbeitnehmerInnen kontinuierlich
abgebaut. Inzwischen ist Spanien das europäische Land, in welchem
der Arbeitsmarkt am weitesten dereguliert ist. Rund 40% der lohnarbeitenden
Bevölkerung stehen in zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen,
und sind deswegen regelmäßig auf den Bezug von Arbeitslosenunterstützung
angewiesen.
Das neue Gesetz erleichtert Kündigungen und fordert dadurch noch
stärker die Schaffung befristeter Verträge. Durch diese befristeten
Arbeitsverhältnisse wird jedoch einerseits der Zugang zur Arbeitslosenunterstützung
fast unmöglich gemacht, da diese erst nach einem Jahr Lohnarbeit
beantragt werden kann, andererseits verschlechtern sich die Bedingungen
bezüglich des Arbeitsschutz. Im ersten Drittel dieses Jahres starben
im spanischen Staat 298 Menschen bei Arbeitsunfällen, ein Großteil
von ihnen arbeitete in befristeten Arbeitsverhältnissen.
Das neue Arbeitsgesetz zwingt zudem erwerbslose Menschen, jede durch das
Arbeitsamt "angebotene" offene Stelle in einem Umkreis von 30
km anzunehmen. Im Falle einer Verweigerung werden unverzüglich alle
sozialen Leistungen gestrichen. Mit diesem Projekt sollen die Arbeitsämter
entlastet werden, obwohl diese zur Zeit über einen Überschuß
von 3 Milliarden € verfügen, und lediglich 40% der Erwerbslosen
Arbeitslosenunterstützung erhalten.
Schwer werden auch die in der Landwirtschaft tätigen Menschen v.a.
im Süden des spanischen Staates durch die neuen Bestimmungen durch
die Abschaffung des PER getroffenen. Dieses Programm eine Förderung
der LandarbeiterInnen, die nach drei Monaten harter Saisonarbeit für
den Rest des Erwerbsjahres eine staatliche Unterstützung in Höhe
von 150 € monatlich erhielten.
Seit 1994 gab es im spanischen Staat keinen Generalstreik mehr, weil die
Gewerkschaften sich seither nicht einigen konnten, und überwiegend
auch mit der Regierung paktiert haben. Trotz starken Bedenken gegenüber
den großen Gewerkschaften werden Aktionen auch von der radikalen
Linken mitgetragen - denn es geht darum, den sozialen Frieden zu brechen.
Mit der drastischen Verschlechterung der sozialen Rahmenbedingungen geht
die Ausweitung der Repression gegen die linke Fundamentalopposition einher:
Ausweitung der Repression gegen die Linke
Die Folgen des 11. September und die Bedeutung der EU-Ratspräsidentschaft
Spaniens
Die rechtskonservative Regierung Aznars nutzte das politische Klima nach
dem 11. September 2001, um auf EU-Ebene Projekte wie den europäischen
Haftbefehl voranzutreiben, und so Auslieferungen von mutmaßlichen
Etarras zu ermöglichen, bzw. dann auch gegen Bedenken erzwingen zu
können.
Anfang Dezember 2001 wurde per Dekret die baskische Gefangenhilfsorganisation
Gestoras Pro Amnistía verbotet, wenig später deren Nachfolgerin
Askatasuna. Ende Dezember veröffentlichte die EU-Institution Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zum ersten Mal eine "europäische
Liste der Terroristen, eine Liste von Organisationen und 28 Einzelpersonen,
deren Köpfe nun zur Jagd freigegeben werden. Auf der Ende Dezember
veröffentlichten Liste werden fünf Organisationen der ETA zugeordnet.
Dazu reichte es der EU aus, daß zuvor ein Richter diese baskischen
strukturen wie Ekin oder Xaki verboten hat, um sie ohne Prüfung als
terroristisch einzustufen. Die fünf wurden vom Ermittlungsrichter
Baltasar Garzón verboten, dem es aber bisher in keinem Verfahren
gelungen ist, eine direkte Verbindung zu ETA zu beweisen. Erst kurz vor
der Bekanntgabe der EU-Liste hatte der Nationale Gerichtshof seine Vorwürfe
gegen Ekin zerpflückt. Sechs Menschen kamen nach 15 Monaten U-Haft
unter Sonderbedingungen, aus dem Knast. Der GASP steht mit Javier Solana
ein Spanier vor. Ein weiteres Indiz für den Einfluß des spanischen
Staates bei der Erstellung der Liste ist der Fakt, daß 21 der 28
aufgeführten Einzelpersonen der Mitgliedschaft zu ETA bezichtigt
werden. Auch nach der Aktualisierung der Liste vor wenigen Wochen änderte
sich nichts wesentliches an dieser Gewichtung.
Parallel zu den Bestrebungen auf EU-Ebene wurde die Kooperation mit den
USA bezüglich der "Bekämpfung des Terrorismus" stark
ausgeweitet, im Gegenzug zur Anfang April vereinbarten Freizügigkeit
der US-Geheimdienste erhält der spanische Staat massive finanzielle
und v.a. logistische Unterstützung im Kampf gegen ETA.
Die Regierung Aznars setzt zudem derzeit alles daran, über das Konstrukt
einer Verbindung zu ETA die linke baskische Volkspartei Batasuna, die
für einen unabhängigen sozialistischen Staat kämpft, zu
kriminalisieren - und somit breite Schichten der baskischen Bevölkerung.
Die Verschärfung der neuen EU-Gesetze drohen nun gegen zwei Menschen
angewendet zu werden, denen die spanische Justiz eine Verbindung zum Kommando
Barcelona der ETA anzuhängen versucht. Sollte den jeweiligen Auslieferungsersuchen
stattgegeben werden, erfolgt die Abschiebung an den spanischen Staat,
wo den Gefangenen die Verhängung von Isolationshaft und die Folter
im Polizeiverhör droht:
Juan Ramón Rodriguez Fernández
Wenige Wochen nach Bekanntgabe der ersten sog. Anti-Terror-Liste der EU
trat in den Niederlanden erstmals die EU-Institution Eurojust, die Koordinationsstelle
der Staatsanwaltschaften der EU-Mitgliedsstaaten, in Aktion, um auf Ersuchen
des spanischen Staates eine Verhaftung vorzubereiten. Am 16. Januar verhaftete
ein Sonderkommando der niederländischen Polizei den Sänger und
Aktivisten Juan Ramón Rodriguez Fernández, genannt Juanra.
Der Haftbefehl wirft im u.a. vor, zwei Namen von Personen aus rechtsextremen
Kreisen im spanischen Staat an eine Person weitergeleitet zu haben, die
beschuldigt wird, in Kontakt zu ETA zu stehen. Mittlerweile wurde der
Vorwurf gegen Juanra auf Mitgliedschaft zu ETA ausgeweitet. Die niederländische
Justiz wird am Dienstag, den 25. Juni bekanntgeben, ob dem Auslieferungsersuchen
der spanischen Justiz stattgegeben wird.
Der Fall Gabriele Kanze
Die Berlinerin Gabriele Kanze wurde am 14. März 2002 bei ihrer Einreise
in die Schweiz von der Schweizer Polizei verhaftet. Gegen sie liegt seit
1994 ein internationaler Haftbefehl wegen Unterstützung des damaligen
ETA-Kommandos Barcelona vor. Der konkrete Vorwurf lautet, dass Gabriele
eine Wohnung gemietet haben soll, die von Mitgliedern des Kommandos genutzt
wurde. Die Hinweise auf die Wohnung wurden nach der Verhaftung eines Mitglieds
des Kommandos unter Folter erpresst. Nach einem internationalen Abkommen
sind Anklagen, die unter Folter zustande kommen, unrechtmäßig.
Sie sitzt zur Zeit in Auslieferungshaft im Knast von Flums/Schweiz. Ein
Auslieferungsersuchen des spanischen Staates liegt vor. Auch ihre Auslieferung
gilt es zu verhindern.
Achtet auf weitere Ankündigungen und beteiligt Euch an weiteren
Aktionen, um die Auslieferung der beiden GenossInnen zu verhindern!
Kampf dem Kapitalismus - weltweit!
Keine Auslieferungen an den spanischen Staat! - Freiheit für alle
politischen Gefangenen!
Hoch die internationale Solidarität!
Kommt zur Kundgebung am Donnerstag, den 20. Juni, 16.00 Uhr, vor dem spanischen
Konsulat, Steinplatz 1, 10623 Berlin.
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